Im Hinterzimmer des Konsums

Süddeutsche Zeitung, Starnberg, Seite 2, Kultur, 9, Oktober 2018

Almut Winkler baut aus rostigen Erdnussdosen, Plastikblumen und Kronkorken Türmchen und Assemblagen. Im Uttinger Ausstellungsraum „B 1“ zeigt sie ihr Gesamtwerk

Von Katja Sebald, Utting

Experimentelles sei ausdrücklich erwünscht, hatte Harry Sternberg im Sommer bei der Eröffnung seines Ausstellungsraums „B 1“ verkündet. Der Uttinger, selbst als Fotograf und Künstler aktiv, hat das ehemalige Fremdenverkehrsbüro am Bahnhofsplatz 1 für vorerst drei Jahre von der Gemeinde angemietet, um es zur Plattform für unterschiedlichste künstlerisch Ideen zu machen. Nach einer ortsgeschichtlichen Dokumentation steht nun gleich bei der zweiten Ausstellung das Experiment im Mittelpunkt: Almut Winkler hat unter dem Titel „Trash & Treasures“ in dem kleinen Raum ein Gesamtkunstwerk ausschließlich aus Dingen geschaffen, die andere Leute achtlos wegwerfen würden.

Als wären’s Säulen: Almut Winkler neben Stapeln von Klo- und Küchenpapier. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

„Es geht ums Finden und ums Hinschauen“, sagt die junge Künstlerin, die nach einem Studium der Kunstpädagogik von einem eigenen Kunst- und Kulturcafé in Utting träumt und einstweilen vergessenen Dingen neues Leben einhaucht. Bereits im 2017 bezauberte sie bei den Ateliertagen mit ihren Materialcollagen, jetzt bespielt sie das Häuschen am Bahnhof mit ihren erzählerisch-merkwürdigen Gespinsten aus dem Hinterzimmer der Konsumwelt. Die Schönheit liegt dabei eindeutig im Auge des Betrachters: Wenn er möchte, darf er sie im aufgedruckten Muster von gestapelten Klopapierrollen entdecken oder im zerbeulten Charme einer rostigen Erdnussdose. Seifenreste und Kerzenstummel, alte Bilderrahmen, einen Schallplattenständer und ein Burda-Modeheft aus den Fünfzigern, Plastikblumen, Kronkorken, Spülschwämme, gemusterte Stoffreste und zerknüllte Papiertaschentücher arrangiert Winkler zu Türmchen, Herrgottswinkeln, Bildserien und Assemblagen. Und auch in getrockneten Bananenschalen und anderen Essenresten, in leeren Schneckenhäusern, toten Wespen und verwelkten Pflanzen kann man Skulpturen sehen. Volle Aschenbecher wurden mit Kunstharz ausgegossen und so für die Ewigkeit konserviert – der große Daniel Spoerri, der einst diese Vorgehensweise für seine „Fallenbilder“ erfand, hätte seine Freude an der spielerischen Leichtigkeit und Unbedarftheit, mit der er hier kopiert wird.

Ein altes Tablett. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Winkler kennt Spoerri nicht, aber sie beschäftigte sich schon in ihrer Bachelorarbeit, in der es um Erinnerungsarbeit mit Senioren ging, mit der Bedeutung, die der Mensch den Dingen gibt. Der eine stellt sich einen Pokal ins Zimmer, um auf die eigene Bedeutung zu verweisen, der andere umgibt sich mit Familienfotos, Büchern, Bildern und anderen Objekten von Bedeutung. Winkler blickt lieber hinter die Dinge und erzählt Geschichten, die andere vielleicht lieber verschweigen würden. Wenn sie eine Ausstellung bestückt, räumt sie ihr Zuhause leer und trennt sich von den Dingen, die sie um sich angesammelt hat.

Hier verewigt Winkler eine Erdnussdose. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eine inhaltliche und manchmal auch nur farbliche Ergänzung zu den Kostbarkeiten des Alltags bilden die an die Wand gepinnten Fotos von abblätternder Farbe und bröckelnden Mauern. Die Künstlerin richtet ihre Kamera lieber auf Schmuddelecken denn auf Sehenswürdigkeiten. Auch der gelbe Sack und der Mülleimer sind vor ihrem kreativen Blick nicht sicher. Die Preise ihrer kleinen Kunstwerke richten sich nach dem individuellen Wert, den sie für die Künstlerin haben – und dem zu erwartenden Trennungsschmerz. Mut zum Experiment bewies Winkler übrigens auch mit den leuchtend bunten Brotaufstrichen, die sie den Vernissagengästen kredenzte. Man darf schon jetzt gespannt sein auf die Speisekarte im Café ihrer Träume.

Alles ist möglich: Die Künstlerin verwendet für ihre Assemblagen Essensreste und Kerzen.(Foto: Franz Xaver Fuchs)

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