PresseArtikel von Susanne Greiner aus Kreisbote Landsberg und merkur.de vom 21.03.22
Die Arbeit mit der Endlichkeit
Das Gefäß für die letzte Reise selber bauen „Zeit ist. Der Sarg“ – eine Ausstellung im raumB1
Von Susanne Greiner
Utting – Die Physik kennt keine Zeit. Sie ist eine Erfindung des Menschen, um die Erfahrungen von „Vergangenheit“ und „Zukunft“ im wabernden Nebel des uns Umgebenden einordnen zu können. Gerade deshalb ist sie lebensbestimmend – vor allem, weil sie für jeden einzelnen endet. Andreas Kloker aus Schondorf und Axel Wagner aus Greifenberg nähern sich diesem mysteriösen Konstrukt auf künstlerischem Weg: in der Ausstellung „Zeit ist.“, die ab Juli in der Landsberger Zedergalerie zu sehen sein wird. Der Prolog dazu hat bereits begonnen – und zwar mit dem Ende: Wagner und Kloker haben ihre Särge gebaut. Und in Harry Sternbergs Schaufenstergalerie, dem raumB1 in Utting aufgestellt.
In der Abendluft liegt Frühling und ein Hauch von Schnittlauch. Sektkorken knallen, Schmalz-Schnittchen werden gereicht, Stimmen murmeln mit dem Abendvogelgezwitscher um die Wette. Die Stimmung bei der Vernissage am Freitagabend ist auffällig leicht. Und das, obwohl hinter dem Schaufenster des RaumB1 zwei Särge aufgebahrt sind. Einer aus Holz, der andere aus Pappe, beide geöffnet, noch leer. Irgendwann werden sie sich füllen – wenn die Künstler gestorben sind. In dem Holzsarg wird der Körper von Andreas Kloker in die Erde hinabgelassen, in dem aus Pappe wird Axel Wagners Leib verbrannt werden. Puh.
Am eigenen Ende arbeiten. Warum? „Wir haben uns gefragt, in welchem Gefäß wir die letzte Reise antreten wollen“, beschreibt Kloker die Initialfrage. „Wir wollten diese Sache selbst in die Hand nehmen“. Es habe beim Bauen nur einen Moment gegeben, wo ihm etwas mulmig geworden sei, erzählt Wagner: Als er sich in den Sarg legte, um mit dem Zollstock zu messen, wie viel Platz er zum Deckel haben möchte. Ansonsten war es für beide eine sehr lebensbejahende Arbeit. „Der Sarg hat seinen Schrecken verloren“, ist Wagners Resümee. Kloker: „Wer seinen Sarg baut, lebt noch.“
Zeit ist Leben
Die Künstler haben schon diverse Projekte gemeinsam gestemmt. Zum Beispiel das Kunstfest „Kunst geht baden“ im Warmbad Greifenberg, mit Janos Fischer als Drittem im Bunde. Auch thematisch finden sie sich in den Arbeiten des anderen. Wagner bearbeitet EKG-Kurven. Kloker findet den Herzschlag in seinen Lebenszeit-Strichen: Er zieht mit Tusche langsam und gleichmäßig Linien. Trotz aller Ruhe haben sie einen sichtbaren ‚Rhythmus‘: seinen Herzschlag. Es ist das Leben und mit ihm die Zeit, die beide künstlerisch antreibt.
An ihren Särgen arbeiteten sie zeitgleich, aber nicht am selben Ort. „Ich habe im Freien den Stamm gesägt und behauen“, sagt Kloker. Sein Material: eine Schwarz-Pappel. Der Baum wuchs hinter seinem Haus. Kloker schätzt ihn ungefähr in seinem Alter: 73 Jahre. Ein Monolith, der für den Künstler die Verbundenheit des Menschen mit allem, die „Wurzeln der Welt“ symbolisiert. Auch ins Sarginnere hat Kloker die Allverbundenheit gelegt: diverse Gegenstände gelten ihm als Gedankenanstöße, Stein, Eisen, eine Feder. Sogar ein Meteorit aus dem All. Den Deckel- und Sargrand umfasst eine rote Linie: „Bitte nicht stolpern“, scherzt eine Vernissage-Besucherin.
Wagner musste innen arbeiten – Pappe ist nicht regenfest. Sein Sargmaterial stammt vom Projekt „die Höhle“, einem Bau aus Pappe im studioRose, in dem Wagner drei Monate lebte – und „viele Gedanken in alle Richtungen hatte“. Die hat er nun in den Sarg mitgenommen. Auf dem Sargdeckel sind Wagners Handabdrücke zu sehen. „Sie zeigen den Vorgang des Schließens“, sagt Wagner. „Noch kann ich das, meinen Sarg selbst zumachen.“ Anderes im Inneren: Dort sind die Abdrücke der Handrücken seiner Frau und seiner Kinder zu sehen. „Es sind sie, die mich in den Sarg legen.“ Und zwar für „immer“. Das Wort ziert Wagners Sarginneres auf Augenhöhe.
Auf Klokers Sarginnendeckel steht „Da“, ins Holz eingebrannt. In der Entstehung der beiden Sarg-Innenschriften hat Gleichzeitigkeit ihre Finger im Spiel: Als Kloker das „Da“ als letzten ‚Bau-Akt‘ einbrennt, schreibt Wagner seinen letzten Satz auf das ‚Infoblatt‘, das jeden Sarg begleitet: „Ich bin da.“
Trotz lebensbejahender Grundstimmung: Die Sarg-Arbeit hat bei beiden Künstlern etwas ausgelöst. „Ich habe mich gefragt: Was will ich noch tun?“, sagt Kloker. Eine Aufgabe: das Zimmer aufräumen. Aufräumen will er aber auch noch etwas anderes: seine Seele. „Ich möchte einfach ganz entspannt in diese Kiste rein.“
Wagner ist beim Sarg-Bau das arabische Sprichwort ‚Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod‘ in den Kopf geschossen. Seine Conclusio: „Ich möchte nicht fertig werden. Ich möchte sterben und noch ganz viel zu tun haben.“ Als seine Frau und die Kinder für die Handabdrücke da gewesen seien – „wir haben sehr viel gelacht“ – , habe er noch einen Gedanken gehabt: „Wenn ich morgen sterbe, dann war das gut.“
Der Augenblick
Nachdem die Ansprachen mit feierlicher Sargöffnung gehalten, die Fragen an die Künstler gestellt und beantwortet sind, bilden sich mehrere Grüppchen vor dem beleuchteten Schaufenster. Tiefe und oberflächliche Gespräche, über das Ende oder das Wetter perlen aus Mündern. Die Särge im Hintergrund sind da. Schaffen Bewusstsein. Ein Gefühl für das ungreifbare Jetzt. Alles ist gut. Zumindest für den Augenblick.