Presseartikel aus Süddeutsche Zeitung zu „Zeit ist. der Sarg“

Menschheitsfragen zur letzten Reise

Süddeutsche Zeitung, Landkreis Starnberg, Mittwoch, 23. März 2022

Mit der Ausstellung „Der Sarg“ zeigen Andreas Kloker und Axel Wagner im Uttinger B1 eine makaber wirkende Kunstschau. Das Projekt will sich aber weniger dem Tod als dem Umgang mit der eigenen Lebenszeit widmen

Von Katja Sebald, Utting

Andreas Kloker und Axel Wagner haben es getan: Sie haben sich ihren eigenen Sarg gebaut. Die befreundeten Künstler beschäftigen sich seit langem mit dem Thema Zeit. Als „Prolog“ zu einer geplanten Ausstellung in Landsberg zeigen sie derzeit im Raum B1 am Uttinger Bahnhofsplatz die Gefäße, in denen sie ihre letzte Reise antreten wollen. Das ehemalige Fremdenverkehrsamt erinnert mit den beiden schräg aufgestellten Särgen hinter den großen Scheiben auf geradezu makabere Weise an eine Aufbahrungshalle – es sei sich jedoch ein Projekt, dass sich weniger dem Tod als dem Umgang mit der eigenen Lebenszeit widmen will, versichern beide Künstler.

Zeit ist ein zentraler Aspekt im Werk des Künstlers Andreas Kloker aus Schondorf. Er ist ein „Lebenskünstler“ im allerbesten Sinn: Für ihn ist das ganze Leben mit allen Tätigkeiten – auch und besonders den alltäglichen – Teil des künstlerischen Prozesses. Alles ist mit allem verbunden, das gilt für ihn im Großen wie auch im Kleinen. Mit Performances, Aktionen und vor allem mit seinen „Elementarzeichnungen“ will Kloker Lebenszeit sichtbar und buchstäblich „erlebbar“ machen – und so hat er auch die Arbeit am eigenen Sarg begriffen. In seinem Garten musste eine alte Schwarzpappel gefällt werden, erläutert der Künstler. Er habe den Baum schon als Kind gekannt: „Er wuchs hinter unserem Haus und dürfte ungefähr mein Alter haben“, schreibt der 73-Jährige im Begleittext. Er teilte den Baum in zwei Hälften und höhlte sie aus: eine für den Sarg selbst, die andere für den Deckel.

„Wer an seinem Sarg baut, lebt noch“, sagt der 73 Jahre alte Andreas Kloker, „der Tod war nicht mein Thema“.

Es sei eine langwierige und anstrengende körperliche Arbeit mit Axt, Kettensäge und Hobel gewesen, erläutert er, aber mit jedem einzelnen Axthieb habe er das Leben gespürt: „Der Tod war nicht mein Thema.“ Und so ist ein Monolith ohne Leim und Nägel entstanden, ein archaisches Gefäß, das ihm dereinst wie ein Einbaum für die Überfahrt auf dem Totenfluss dienen könnte. Bis dahin aber ist es eine freie künstlerische Arbeit und Ausgangspunkt für eine Rauminstallation, bestückt mit einigen persönlichen Gegenständen, die ihm im Leben, nicht im Tod, wichtig sind. Kloker sagt: „Wer an seinem Sarg baut, lebt noch. Es ist ein Raum entstanden für Gedanken. Noch ist es ein Kunstraum, ein Gedankenraum.“

Die Herangehensweise von Axel Wagner könnte kaum unterschiedlicher sein. Im sogenannten „richtigen“ Leben als Psychotherapeut tätig, beschäftigt er sich auch in seinen Objekten und Installationen zunehmend mit psychologischen und philosophischen Themen. Mit seinem Sarg greift er noch einmal auf ein Projekt aus dem Jahr 2021 zurück: Im Studio Rose in Schondorf hatte er eine Höhle aus Kartons gebaut und dort über einen Zeitraum von drei Monaten gelebt. Er sei damals „Menschheitsfragen auf der Spur“ gewesen, berichtet er. Es sei deshalb nur folgerichtig, auch dem Tod als der wohl größten der Menschheitsfragen mit Pappe zu begegnen: Aus den Resten der abgebauten Höhle baute er seinen „letzten Karton“.

Axel Wagner, 57, rechnet mit seinem Tod – übermorgen oder in 50 Jahren. Sein Trost: „Es ist nur für immer.“

Zunächst aber habe er sich „auf dem Markt umgesehen“, berichtet Wagner, sich dann aber gegen einen fertigen Pappsarg aus China und für Do-it-Yourself entschieden. Er sei Pragmatiker, die Arbeit sollte einfach sein und schnell gehen. Ob er den Bauplan mit allen Maßen oder die Anleitung zum Sargbau in zehn Schritten verwendet hat, die man im Internet findet, verrät er nicht. Wagner, der 57 Jahre alt ist, rechnet mit seinem Tod „übermorgen oder in 50 Jahren“. Er fühle sich den Menschen und der Welt verbunden. Auf dem Boden sind deshalb die Abdrücke von den Handrücken seiner Frau und seiner drei Kinder zu sehen. Wenn er dereinst in seinen Sarg gelegt wird, dann wird er gleichsam von geöffneten Händen empfangen und gehalten. Er selbst hat sich mit seinem eigenen Handabdruck, dem ersten und ursprünglichsten Ausdruck menschlicher Kreativität, auf dem Sargdeckel verewigt. Es ist „nur für immer“, hat er sich als kleinen Trost dazugeschrieben.

Die Ausstellung „Der Sarg“ ist noch bis 19. April ganztägig (nur von außen) zu sehen und wird abends beleuchtet.

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