Süddeutsche Zeitung, Starnberg, Seite 2, Kultur, 28. Juli 2018
Eine Ausstellung in Utting widmet sich Kindheitserinnerungen des Malers und Juristen Claus Bastian, der einst am Ammersee lebte und als Häftling mit der Nummer 1 im KZ Dachau registriert wurde
Von Katja Sebald
In Utting gibt es einen neuen Raum für Kultur: Harry Sternberg, selbst aktiv als Fotograf und Künstler, hat das ehemalige Fremdenverkehrsbüro am Bahnhofsplatz für drei Jahre von der Gemeinde gemietet. Das „B1“ soll Plattform für künstlerische Ideen sein, auch Experimentelles kann dort stattfinden. „Ich habe mir damit einen Traum erfüllt“, sagte Sternberg bei der Eröffnung der ersten Ausstellung „Freiheit – Wagnis – Staunen, Kindheitserinnerungen an Utting“. Es handelt sich dabei um eine einerseits ortsgeschichtliche Dokumentation, andererseits um eine sehr persönliche Rückschau auf das Leben von Claus Bastian.
Aber was für ein Leben: Claus Bastian kam 1909 als jüngstes von sechs Kindern in Biebrich am Rhein zur Welt. Sein Vater Richard arbeitete als Ingenieur am Ausbau europäischer Häfen. Von 1911 an lebte die Familie in Utting. Als Kind sauste Claus Bastian auf dem Hochrad durch die Uttinger Bahnhofsstraße. Als Jugendlicher brach er die Schule ab und arbeitete als Bauer, Schmied und Schäfer. Nachdem er doch noch einen Schulabschluss gemacht hatte, studierte er an der Pariser Sorbonne, traf Miró und Picasso und verdiente sich ein Zubrot als Stepptänzer im „Folies Bergère“. Zurück in München war er Dandy und Kommunist zugleich. Als Gründer des „Marxistischen Studentenclub“ verschleppten ihn die Nazis im März 1933 in die in die stillgelegte Pulver- und Munitionsfabrik bei Dachau, wo er als Häftling mit der Nummer 1 des neu eingerichteten Konzentrationslager registriert wurde. Kurz zuvor hatte er sein juristisches Staatsexamen abgelegt.
In „Freiheit – Wagnis – Staunen“ in der Uttinger Galerie Raum B1 sind auch die“Schlittschuhfahrer am Ammersee“ zu sehen. (Foto: Georgine Treybal)
Nachdem er mit viel Glück den NS-Schergen entkommen war und sich durch den Krieg gebracht hatte, ohne einen einzigen Schuss abzugeben, führte er in der Nachkriegszeit mehr als 2000 Wiedergutmachungs-verfahren für Israelis und wurde unter anderem Anwalt von Albert Schweitzer. Schließlich erinnerte er sich -n die künstlerischen Begegnungen in Paris, begann zu malen und gründete zusammen mit Gunter Sachs das „Modern Art Museum Munich“ in der Villa Stuck.
Am Ende erinnerte sich Claus Bastian: „In meinem Hochrad steckt für mich das Wesentliche drin, das wesentliche Lebensgefühl: Freiheit, Wagnis, Staunen.“ 1995 starb er.
Als Grundlage der von Sternberg zusammengestellten Ausstellung diente das 1992 erschienene Buch von Anna Andlauer „Du ich bin … der Häftling mit der Nummer 1“, für das Bastian selbst die Illustrationen machte. Ergänzt werden diese Texte und Zeichnungen durch historische Fotos aus der Dokumentation „Utting am Ammersee. Das Dorf und seine Menschen in alten Aufnahmen“ von Werner Weidacher. Claus Bastians jüngster Sohn Stephan stellte zudem Familienfotos und Bilder seines Vaters zur Verfügung.
Die Ausstellung eröffneten (von links) Bastians Sohn Stephan, Harry Sternberg und Christine Riedel. (Foto: Georgine Treybal)
Entstanden ist eine höchst facettenreiche Rückschau auf das Leben in Utting zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Mein Vater muss viel Geld verdient haben“, schrieb Bastian über seine Kindheit in der Bahnhofsstraße 12a: „Das Haus hat Türme und Erker, gotische Bögen, Fensterläden grün-gelb gestrichen, wie ein altes Schloss.“ Aber auch mit „echtem“ Dorfleben kam das Kind in Berührung: „Stundenlang hab‘ ich beim Schuster Sirch zugeschaut, wie er mit scharfen Messern das Leder schnitt…“ Vom Uttinger Müller Sauter wurde er als Kind über den Verlauf des Ersten Weltkriegs informiert.
Und in Utting am Ammersee hielt Bastian in den Zwanzigerjahren seine erste politische Rede gegen den damaligen Reichskanzler Hindenburg. „Mein Vater war das schwarze Schaf in der Familie“, sagte sein Sohn Stephan bei der Ausstellungseröffnung. „Aber ein schwarzes Schaf ist besser als ein braunes Schaf“, ergänzte er mit Verweis auf Claus Bastians Schwester Margret, die mit NSDAP-Ortsgruppenleiter Otto Flechtner verheiratet war.
Die Ausstellung ist bis zum 16. September 2018 jeden Sonntag von 14 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter Telefon 0163 / 635 08 53 zu sehen
URL: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/starnberg/kultur-das-schwarze-schaf-derfamilie-1.4072808