Landsberger Tagblatt vom 04.03.2021, Utting
Harry Sternberg kehrt nach seinem Umzug nach Utting zu einer alten Leidenschaft zurück. Mit dem Raum B1 erfüllt sich der Künstler einen Lebenstraum. Die Eltern stellten sich für ihn einen völlig anderen Lebensweg vor.
Von Minka Ruile
Seit dem Sommer 2018 präsentiert der Uttinger Künstler Harry Sternberg in seinem Ausstellungsraum B1 eigene Werke und auch die anderer Künstler. Damit hat er sich einen lang gehegten Lebenstraum erfüllt. Gradlinig war der Weg dahin für den Ingenieur der Versorgungstechnik aber nicht.
Und wieder einmal hatten die Sternbergs im niederbayerischen Eggenfelden großen Kummer: „Klassenziel nicht erreicht“ lasen sie auf dem Zeugnis ihres Sohnes Harry. Durchgerasselt, und das zweimal hintereinander – ein Schulverweigerer, wie er heute selbst sagt. Ohne Abschluss stand der 14-Jährige nun da. Zu dem Zeitpunkt hätte Vater Sternberg auf die Karriere seines Jungen kaum gewettet. Dabei sollte der es doch einmal besser haben als der schlesische Schäfflermeister, der nach Kriegsende in der neuen Heimat beruflich nicht hatte Fuß fassen können und seine Familie als Hausmeister über Wasser hielt; besser auch als seine drei älteren Schwestern, denen der Vater keine Ausbildung hatte finanzieren können und die als Arbeiterinnen in der nahe gelegenen Schuhfabrik untergekommen waren. Geplatzt alle Träume der Eltern vom Sohn, der „seinen Weg schon machen wird“ – vorerst jedenfalls.
Für seine Leidenschaft fand Harry Sternberg kaum Zeit
Denn vielleicht, vermutet Harry Sternberg heute, wurde gerade dieses frühe Scheitern zur Wurzel des späteren Erfolgs und spornte ihn nun zum Lernen an: Wachgerüttelt durch die Eintönigkeit der Lehre zum Technischen Zeichner, in die sein Vater ihn im damals weit entfernten München gesteckt hatte, sattelte er drauf – einen Abschluss nach dem anderen: 1974 die Mittlere Reife, 1978 das Abitur und weitere vier Jahre später den FH-Ingenieur Versorgungstechnik, alles auf dem zweiten Bildungsweg. Zwischenzeitlich gründete er noch eine Familie mit dem 1978 ersten und schon bald darauf dem zweitgeborenen Sohn. Der junge Vater fand seine erste Anstellung und wechselte nach einer weiteren Fortbildung 1990 ans Staatliche Bauamt München.
Für Hobbys blieb da kaum Zeit, und besonders Harry Sternbergs große Leidenschaft, das Fotografieren, kam in diesen Jahren viel zu kurz. „Das lief immer nur nebenbei“, erinnert sich der 67-Jährige, und war aber doch „die einzige, irgendwie künstlerische Anregung während meiner Kindheit.“ Damals habe ihm der Vater ab und zu seine Kamera anvertraut, und aus diesen Tagen, dabei deutet Sternberg das Viereck eines „Suchers“ an, habe er „diesen besonderen Blick auf die Welt“ mitgenommen.
Durch und durch ein Uttinger
Die Ehe scheiterte. Harry Sternberg zog raus aus der Großstadt an den Ammersee, und ist nach 31 Jahren nun ein „Ganz-und-gar-Uttinger“. Keine zehn Pferde könnten ihn mehr von dort wegbringen, bekennt er lachend. Damit das nicht passiert, planen er und seine zweite Frau Christine Riedel mit deren Geschwistern eine Alters-WG, barrierefrei und mit viel Platz für Besucher. Die wird es sicher geben, denn nicht zuletzt durch seine fotodokumentarischen Arbeiten, die ihn in engen Kontakt mit vielen Ammersee-Urgesteinen brachten, ist aus dem Außenseiter von einst ein gern gesehener Ortsbewohner und in Künstlerkreisen bestens vernetzter Kollege geworden.
„Wirklich tief in die Materie eingestiegen bin ich Mitte der 90er-Jahre mit dem von Professor Dr. Graeb geleiteten Fotoprojekt ‘Menschen am Ammersee’ und später der Dokumentation ‘Utting – ein Ort zum (Er-)Leben’“, sagt Harry Sternberg. Nicht nur handwerklich und in der Erarbeitung von Ausstellungen habe er viel von ihm gelernt, wichtiger, erinnert Sternberg in der 2002 erschienenen Dokumentation „Ein Sommer in Holzhausen“ an den früheren Leiter der Kölner Fotoschule, sei der Anstoß zur kreativen Arbeit gewesen, den dieser ihm „nach jahrelanger Abstinenz“ gegeben habe.
Neben (zeit-)dokumentarischen Projekten wendet Sternberg sich häufig auch Themen und Motiven zu, die er in Serien fasst: Strukturen, die sich aus der Betrachtung architektonischer oder auch landschaftlicher Details ergeben, seien es nun Fassaden oder verkarstete Landschaften.
Junge Künstler liegen ihm besonders am Herzen
Momentaufnahmen besonderer Augen-Blicke liefert ihm auch das Smartphone, mit dem Sternberg in seiner jüngsten Serie „en passant“ ein Tagebuch in Bildern schreibt. Nur eines kommt ihm garantiert nicht vor die Linse: „Morgenstimmungen oder Sonnenuntergänge, das ist das Hier und Jetzt, da zoome ich nicht ran, sondern lehne mich zurück und genieße“. Denn als Fotograf wolle er die Welt nicht abbilden, sondern „sichtbar machen“. Dies liefert auch das Stichwort zu einem Anliegen des Galeristen Harry Sternberg. Mit dem B1 hat sich für ihn „ein lang gehegter Traum“ erfüllt: Hier präsentiert er seit dem Sommer 2018 kleine Kunstausstellungen. Und da liegt ihm eine Gruppe ganz besonders am Herzen: „Ich suche die jungen Künstler, gehe deshalb zum Beispiel auch regelmäßig zu den Akademieausstellungen. Aber die haben oft ihre eigenen Vorstellungen, und manche, die wir ‘Alten’ mit in unseren Ausstellungen hatten, haben wir wieder vergrätzt.“ Harry Sternberg legt die Schwelle zum B1 deshalb bewusst tief: „Nehmt Kontakt auf, holt euch den Schlüssel und zeigt eure Arbeit.“ Einzige Bedingung: Das Gebäude muss stehen bleiben.